Wenn Bauherrn heute ein Bauwerk beauftragen, so kaufen Sie damit neben dem Wert der verbauten Materialien in erster Linie ein Termin-, Kosten- und Qualitätsrisiko. Gegen diese Risiken versuchen der Gesetzgeber und Fachanwälte die Bauherrn so gut es geht abzusichern. Dabei sind diese Risiken gewollt und keinesfalls unabänderlich.
Es stellt sich bei der derzeitigen Projektabwicklung die Frage: Wer tritt für die Interessen des Bauherren ein? Wer im Prozess der Bauwerkserstellung hat keine eigene Agenda, sondern vertritt die des Bauherrn? Keiner, oder anders betrachtet: Jeder vertritt nur die im Vertrag festgelegten Interessen des Bauherrn und versucht primär seine eigenen, teils versteckten Interessen durchzusetzen. Damit ist der Interessensschutz für Bauherrn nur so gut, wie der Vertrag und die Gesetzgebung, die diese verbindlich regeln.
Die Motivation zur Sicherung der eigenen Interessen steht dem Bauherrnwunsch nach der Optimierung des gesamten Projektes entgegen. Er ist Ausdruck eines Systemfehlers, in dem der Erfolg eines Beteiligten im Bauprojekt nicht an den Erfolg der anderen Beteiligten geknüpft ist.
Genau daran krankt das System
Da der Auftraggeber und die Auftragnehmer, sei es in der Planungsphase oder Bauphase, kein gemeinsames Ziel haben, sondern in erster Linie versuchen Ansprüche zu regeln, bleibt die Wertgenerierung aus Sicht des Bauherrn auf der Strecke.
Wert aus Sicht der Bauherrn steckt neben den funktionalen Anforderungen durchaus auch in Terminen, Kosten und Qualität. Durch die Aufteilung der Verantwortung an den Planer, den Bauunternehmer und den Bauherrn, werden wichtige Potenziale zur Optimierung des gesamten Projektes verschenkt. Durch die Optimierung jeweils aus Sicht des einzelnen Beteiligten werden lokale Optima geschaffen, die nicht immer im Interesse des Bauherrn sind.
Damit verhindern wir eine Optimierung des gesamten Bauprojektes und fördern die Optimierung von eigenen Interessen. Die Interessen des Bauherrn treten nur dort in den Vordergrund, wo dieser dafür einsteht. Diese Verteidigung von Bauherrnansprüchen durch vertragliche Regelungen bindet unnötig Ressourcen.
Dennoch scheint die vertragliche Anspruchsregelung das probate Mittel zu sein. Der Ruf nach mehr Verbraucherrechten im Bauwesen, wie er vom Verband privater Bauherren (VPB) immer wieder zu hören ist, ist wichtig. Eine Ergänzung der Bauherrnrechte durch den Gesetzgeber scheint dabei aber nur eine weitere Lücke zu schließen, statt die Thematik grundsätzlich anzugehen. In diesem Licht ist auch der kürzlich vorgestellte Kabinettsentwurf für ein neues Bauvertragsrecht[1] zu verstehen, den Bundesjustizminister Heiko Maas vorlegte. Darin verspricht er privaten Bauherren mehr Verbraucherrechte.
Die alleinige Regelung von Ansprüchen genügt nicht. Denn die getrennte Verantwortung vor den Erfolg des Projektes wird mit der derzeitigen Gestaltung von Bauverträgen gefördert. Grund ist, dass der Erfolg des Einzelnen nur bedingt bis gar nicht an den Erfolg des Projektes oder der anderen Beteiligten gebunden ist.
Aber es gibt Licht am Ende des Tunnels und es ist kein entgegenkommender Zug
Seit 2005 sammelt man insbesondere in den USA und Australien mit der integrierten Form eines Bauvertrages neue Erfahrungen.
Aus 22 Lean Project Delivery Projekten seit 2005 (Projekte bei denen die integrierte Form des Bauvertrages zur Anwendung kam) berichtet der Kalifornische Betreiber von Gesundheitsinfrastruktur „Sutter Health“ folgende Kennzahlen[2]:
- Kein Projekt überschritt den Zeitplan oder die Kosten
- Die Baukosten zu Projektende lagen im Durchschnitt 5,8% unter dem Budget
- Die Baukosten lagen durchschnittlich 15% unter den marktüblichen Kosten
- Es wurden keine Zugeständnisse an Projektumfang oder Qualität gemacht
Wie ist das möglich?
Was kennt ein Bauherr zu Beginn eines Bauprojektes mit großer Sicherheit? Sein Baubudget und eventuell den Fertigstellungstermin. In Teilen sicher auch Funktionsanforderungen. Aber nicht die Gestalt des fertigen Bauproduktes. Warum sollte man dann nicht genau daraus Vorgaben entwickeln und diese zu Interessen aller Beteiligten an dem Bauprozess machen?
Stellen Sie sich vor, es gäbe eine Möglichkeit eine Art Joint Venture mit allen bedeutenden Baubeteiligten einzugehen. Ziel der Zusammenarbeit wäre dann ein Bauprojekt zu realisieren, das zu festgelegten Zielkosten entwickelt wird und sich im vorgegebenen Zeitrahmen optimal (Kosten, Qualität) bauen lässt. Solche Zielkosten liegen für gewöhnlich weit unter dem Budget des Bauherrn, da ein Puffer für z.B. Baugrundrisiken oder Behördenverfahren beiseitegelegt werden muss. Solch ein Vorgehen ist bei der Entwicklung neuer Autos z. B. bei Toyota bereits seit Jahrzehnten erfolgreich im Einsatz.
Aber wie soll das Know-how nachgelagerter Akteure in vorgelagerten Entscheidungen berücksichtigt werden?
Ein integrierter Mehrparteienvertrag, wie die „Integrated Form of Agreement“ (kurz IFOA) zielt darauf ab die Bauausführenden an der Planung zu beteiligen. Integrierte Formen von Bauverträgen ermöglichen dem Bauherrn das beste Team für seine Interessen zu Beginn eines Projektes zu finden und somit ein Bauwerk planen zu lassen, das seinen Anforderungen an Kosten, Termin und Qualität gerecht wird.
Integrierte Bauverträge
Integrierte Bauverträge sind Verträge zwischen mindestens dem Bauherrn, einem Planer und einem Bauunternehmen. Es wird dadurch möglich das Know-how zur gleichzeitigen Optimierung von Bauprozess und Bauprodukt bei der Planung zu berücksichtigen. Solche Verträge regeln die Art der Zusammenarbeit, regeln die Verteilung der Risiken und Gewinne der Beteiligten und geben neue Organisationsstrukturen und Abläufe vor.
Die Planung nach Zielkosten stellt dabei einen wichtigen Teil dar. Gemessen wird die Planung an dem Wert aus Sicht des Kunden (Funktionsanforderungen, die teilweise erst in der Vorprojektphase mit dem Kunden entwickelt werden müssen). Das Bauprojekt muss diesen Anforderungen zu Zielkosten gerecht werden. Die wichtigste Regel lautet: „Zielkosten können niemals überschritten werden“.
Die Unterschreitung der Zielkosten jedoch soll ein Antrieb für die Beteiligten sein, der neben der Vergütung der geleisteten Arbeitsstunden einen zusätzlichen Gewinn bedeutet. Wichtig ist also, dem Kunden zu helfen im Vorfeld zu verstehen welche Anforderungen er mit dem Projekt erfüllt sehen möchte. Ein solches Vorgehen für die Planung nach Zielkosten nennt man daher „Target Value Design“.
Natürlich regelt ein solcher Vertrag auch die Zusammenarbeit der Akteure, denn dies ist die Stellschraube zur Optimierung des gesamten Projektes. Eine Absicherung der eigenen Interessen in einem solchen integrierten Team nicht mehr sinnvoll und nötig, da der eigene Erfolg maßgeblich vom Erfolg der anderen abhängig gemacht wird.
Neben den beschriebenen Methoden kommt auch Set basierte Planung, die Arbeit in einem Big Room in einem Projektbüro und andere Lean Project Delivery Methoden zu Einsatz.
[1]Mehr dazu in der Pressemitteilung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/2016/03022016_Kabinett_Bauvertragsrechts.html
[2] Lean Management Journal, Issue 10, Volume 4, Dec-Jan 2014/15, S. 38, abrufbar unter: https://issuu.com/leanmj/docs/lmj_dec-jan_2014_full